Frau Komaichi empfiehlt ein Buch | Michiko Aoyama

Ein Buch darüber, wie Bücher und eine engagierte Bibliothekarin Leben verändern können; kommt mit einer Wohlfühlatmosphäre daher, besitzt aber trotzdem einigen Tiefgang und Gesellschaftskritik.

Gedruckte Ausgabe des Buchs "Frau Komaichi empfiehlt ein Buch" mit dem Cover nach vorne in einem Bücherregal stehend. Auf dem gezeichneten Bild ist eine japanische Frau im Kimono von hinten zu sehend, die auf dem Boden vor einem flachen Tisch kniet. Rechts und links von ihr stehen Bücherregale

Gibt es sie? Bücher, die unser Leben verändern können. Mir fällt für mein eigenes gerade keines ein. Aber auf meinem anderen Blog habe ich mal darüber geschrieben, wie der Film Good Will Hunting mein Leben verändert hat, weshalb ich es gerne glauben will.

Und der Titel verrät es ja schon, die Bücher, die Leben verändern, werden von Komaichi-San empfohlen. Der Bibliothekarin eines Gemeindezentrums in einem kleinen Bezirk von Tokyo. Erzählt werden die einzelnen Episoden, die lose zusammenhängen, aber jeweils von jenen Menschen, deren Leben verändert werden.

Da ist die junge Angestellte, die neben ihrer Arbeit wenig Leben hat; die Mutter, die versucht, trotz der Geburt ihres Kindes ihre Karriere weiterzuverfolgen, aber zunächst an den gesellschaftlichen Gegebenheiten bzw. denen ihrer Firma scheitert. Es gibt einen frischgebackenen Rentner, der plötzlich viel Freizeit hat, aber nichts damit anzufangen weiß und befürchtet, seiner Frau auf die Nerven zu gehen. Da ist der Arbeitslose, der nach holpriger Berufslaufbahn den Mut verloren hat; und ein Buchhalter, der einem langgehegten Kindheitstraum hinterher hängt.

Fünf Menschen, die mit ihrer aktuellen Situation unzufrieden sind, ihre Lage aber als ausweglos bzw. alternativlos betrachten. Bis sie in der Gemeindebibliothek bei Frau Komaichi landen. Die schenkt ihnen nicht nur ein gefilztes Stofftier, sondern empfiehlt auch ein Buch neben den gesuchten, das dann jeweils zu einem Umdenken führt, das neue Perspektiven eröffnet und ihnen Mut macht.

Eine Situation, die ich aktuell nur zu gut nachempfinden kann, da ich selbst mit meiner beruflichen Situation unzufrieden bin. Die Arbeit macht zwar richtig Spaß, aber die Honorare stagnieren trotz steigender Kosten und die Auftragslage wird immer schlechter. Weshalb ich mir für dieses Jahr vorgenommen habe, meine Perspektive zu ändern, um berufliche Alternativen zu finden. Allein dadurch hat das Buch bei mir schon ein Stein im Brett.

Anfangs dachte ich noch, das ist einer dieser typischen seichten japanischen Cozy-Bookstore/Restaurant/Café-Romane, wie Die Tage in der Buchhandlung Morisaki oder Das Restaurant der verlorenen Rezepte, die ich gerne gelesen habe und auch noch besprechen werde, die aber nur an der Oberfläche kratzen. Frau Komaichi empfiehlt ein Buch geht tiefer, auch wenn das auf den ersten Blick vielleicht nicht ersichtlich ist. Denn die Nuancen sind fein, vieles, was passiert, passiert ungesagt, zwischen den Zeilen. Die emotionale Tiefe der Figuren wird nicht erklärt, sie ergibt sich aus dem Gesamtbild.

Denn auch, wenn es sich um einen Episodenroman mit fünf Ich-Erzähler*innen handelt, ist die Welt, in der er spielt, klein. Figuren aus früheren Episoden tauchen in späteren wieder auf oder werden zumindest erwähnt, was auch für einige Nebenfiguren gilt. Und das lässt die Welt des Buchs viel lebendiger wirken.

Frau Komaichi hat übrigens immer nur ganz kurze Auftritte und es gibt auch noch eine nette Pointe zu ihren Empfehlungen.

Cozy ist das Buch aber trotzdem. Zwar gibt es Gesellschaftskritik, vor allem, was die Situation von Frauen in der japanischen Gesellschaft angeht, aber es wird nie wirklich schmerzhaft. Am Ende überwiegt die Wohlfühlatmosphäre, und Wohlfühlatmosphäre mit Tiefgang nehme ich immer gerne. Es muss nicht immer alles düster und brutal sein. Hoffnung ist ein Wort, das ich nicht mag, da es davon ausgeht, dass andere es richten. Aber Empowerment und Selbstermächtigung und auch Inspiration sind Begriffe, die hier gut passen.

Und ich hätte nicht gedacht, dass in so einem Buch Fist of the North Star zitiert wird, jener Mangavorlage zu dem ultrabrutalen Anime, der in den 90ern zu den ersten gehörte, die ich überhaupt gesehen habe.

Die Übersetzung aus dem Japanischen stammt von Sabine Mangold, erschienen bei Rowohlt.

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