Blutroter Tod | Tetsuya Honda

Ein japanischer Krimi mit einer cleveren Ermittlerin in einer Männerwelt, die einem abscheulichen Verbrechen auf den Grund geht und tiefe Einblicke in die japanische Gesellschaft liefert.

Taschenbuchausgabe von "Blutroter Tod". Auf dem Cover ist eine junge, in einem Hosenanzug gekleidete Japanerin zu sehen, die auf uns zugeht. Die Haare hängen lose bis auf die Schultern.

Japan gilt als eines der sichersten Länder der Welt. Wenn Leute in einem Café sitzen, ist es durchaus üblich, dass sie Handy und Portmonee offen auf dem Tisch liegen lassen, wenn sie auf Toilette gehen, ohne Angst vor Diebstahl zu haben. Touristen brauchen sich nicht vor Überfällen zu fürchten. Wie kann es in einem solchen Land spannende Krimis von Autoren wie Keigo Higashino, Seishi Yokomizo oder Hideo Yokoyama geben? Na ja, abgesehen davon, dass Romane nicht die Realität widerspiegeln müssen und ruhig überdramatisiert werden kann, kann Japan ja doch nicht so ganz frei von Kriminalität sein. Immerhin gehören neben den Samurai und den Ninjas auch die Yakuza zu den kulturellen Exportschlagern und einem festen Bestandteil der Geschichte.

Ein loser Verbund aus verschiedenen kriminellen Vereinigungen, die nach dem 2. Weltkrieg teilweise so mächtig waren, dass ihr Einfluss bis in höchste Staatsämter reichten (siehe die Arte-Doku zu den Yakuza). Und wo es Kriminalität gibt, gibt es auch Opfer, und damit diesen Gerechtigkeit widerfahren kann, braucht es Polizei. Außerdem werden nicht alle Verbrechen von Yakuza verübt, die sich vor allem auf Wirtschaftskriminalität (Betrug in all seinen Facetten), Korruption und Prostitution konzentrieren, sondern auch Morde von eifersüchtigen Ehemännern, Diebstähle aus Gründen der Armut usw.

Reiko Himekawa arbeitet als Ermittlerin bei der Keishi-chō, der Kriminalpolizei von Tokyo bzw. der Mordkommission. Wo sie ein Team leitet, das auf einen brutalen Mordfall angesetzt wird, der rasch komplexe Züge annimmt, während sie sich gegen die Ellenbogen ihrer eifersüchtigen und missgünstigen Kollegen durchsetzen muss.

Das Berufsleben in Japan, in Firmen aber vor allem auch den Verwaltungen und der Polizei ist einer Welt voller Männerbünde, mit viel Machismo und der vollen Breitseite des Patriarchats. Autor Honda versteht es gut, durch die Reaktion verschiedener Kollegen und Vorgesetzter auf Hauptkommissarin Himekawa, die Vielfältigkeit toxischer Männlichkeit in all ihren Variationen und Abstufungen zu schildern.

In der Mitte des Buchs geht der Autor auf das Verbrechen ein, dass Himekawa als 17-Jähriger angetan wurde, auf ihre Genesung, die darauf folgende Gerichtsverhandlung und wie daraus ihre Entscheidung entstand, Polizistin zu werden. Und das gelingt ihm sehr einfühlsam und bewegend.

Das verleiht der Hauptfigur mehr Tiefe sowie ihre Motivation und Antriebskraft. Eine Frau, geprägt durch ein traumatisches Erlebnis, das massiv beeinflusst hat, die sich aber nicht dadurch definieren lässt, sondern sich davon teilweise befreit und ihr eigenes Ding durchzieht. Auch wenn das zu Konflikten mit der Familie führt, die nicht verstehen kann, warum sie weiterhin für die Polizei arbeitet, statt zu heiraten und Kinder zu kriegen.

Neben der persönlichen Geschichte gibt es aber auch den Mordfall, dessen Ermittlungen multiperspektivisch erzählt werden, auch wenn Reiko im Mittelpunkt bleibt und alle anderen Ermittler weniger Hintergrundgeschichte und Persönlichkeit erhalten. Trotzdem sorgt das für Abwechslung und unterschiedliche Blickwinkel auf den Fall und die japanische Gesellschaft im Allgemeinen.

Spannend ist es, zu sehen, wie sehr sich die Ermittlungsarbeit von denen der Polizei in westlichen Krimis unterscheidet. Die strenge Hierarchie, die auch eingehalten wird, wenn es den Ermittlungen schadet. Dass die Ermittler*innen meist zu Fuß unterwegs sind und Taxis, Busse und die U-Bahn nutzen.

Wir erhalten aber auch kryptische Einblicke in die Perspektive des Täters, die sich erst gegen Ende bei der Auflösung erschließen. Die Motivation hinter den Taten wirft einen abgründigen Blick auf die Gesellschaft und das menschliche Wesen. Der Weg zur Auflösung ist halbwegs clever konstruiert. Mir hätte es aber auch gereicht, Reiko allein dabei zu begleiten.

Blutroter Tod ist ein sehr lesenswerter Krimi, der auch erfahrenen Lesern westlicher Krimis noch etwas Neues bieten kann. Vor allem wirft er aber einen kritischen Blick auf die patriarchalen Gesellschaftsstrukturen in Japan und eine nihilistische Leere, mit der einige Menschen aufwachsen, die dazu führt, dass grausame Verbrechen auch in harmonisch orientierten Gesellschaften begangen werden.

Normalerweise achte ich immer penibel darauf, bei japanischen Büchern nicht an die deutsche Übersetzung der englischen Übersetzung zu geraten. Doch hier habe ich leider nicht aufgepasst. Aber die Stille-Post-Übersetzung von Irmengard Galber liest sich insgesamt ganz ordentlich, auch wenn manche Begriffe etwas veraltet wirken. Ich glaube das Wort »Catcher« (im Sinne von Wrestler habe ich schon seit den frühen 90ern nicht mehr gehört. Im Englischen wie im Japanischen heißt das Buch übrigens Strawberry Night, was ein viel besserer Titel ist, den ich auch im Deutschen beibehalten hätte. Auf Japanisch sind inzwischen fünf Bände erschienen, in deutscher wie auch englischer Übersetzung aber leider nur zwei. Was heißt, dass ich mal mit meinem Japanisch-Lernen zulegen muss.

Es gibt auch eine Serien-Adaption, die bei uns aber leider nicht erhältlich ist. Bei Netflix, Amazon, Disney+ und Arte erscheinen inzwischen eine Menge japanische Serien, klassische Krimis finden sich aber nicht wirklich darunter.

Nachdem ich zuletzt eine Menge Literatur aus Japan gelesen habe, komme ich zu dem Schluss, dass Krimis wie Blutroter Tod besonders gut geeignet sind, ein breites Bild von der japanischen Gesellschaft und deren offenen, wie verborgenen Strukturen zu schildern. Doch obwohl es eine Menge toller japanischer Schriftstellerinnen gibt, die ins Deutsche und Englische übersetzt werden, habe ich bisher noch kein Krimi aus der Feder einer Japanerin gelesen. Falls ihr welche kennt, währe ich für Tipps dankbar. Miyuki Miyabe und Natsuo Kirino habe ich mir allerdings jetzt notiert – deren Bücher aber teilweise leider nur schwer bis gar nicht zu bekommen sind.

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