6 Manga-Kurzkritiken: Fantasy, Science Fiction, Sport, Slice of Life und Horror

In meinen sechs Kurzkritiken stelle ich euch eine große Bandbreite von Manga-Themen vor, die uns auf einen Basketball-Court führen, in eine mysteriöse Megastruktur, eine Fantasywelt voller Vergänglichkeit, in die Abgründe der Großstadt, ins Leben marginalisierter Teenager und die Schrecken japanischer Mythologie.

Die sechs im Artikel vorgestellten Mangas, drei in der oberen Reihe, drei in der unteren. Von oben links: "Blame!", "The Limenal Zone", Die Stadt und das Mädchen", Von unten links: "Slam Dunk", "Frieren" und "Boys Run The Riot"

Anime-Fan bin ich, seit ich mit 14 Jahren 1993 erstmals Akira auf VHS gesehen habe. Da wäre es doch naheliegend, dass ich auch zum Manga-Fan geworden bin, liefert dieses Medium doch viele Vorlagen zu tollen Animes. Bin ich aber nicht. Comics habe ich zwar schon seit meiner Kindheit gerne gelesen, aber nie sehr viele, da mir die Bände und Hefte im Vergleich zu Büchern zu teuer waren. Bis zu meinem 30. Lebensjahr habe ich genau drei Mangas gelesen: Hideshi Hinos Panorama of Hell, Spirit of Wonder von Kenji Tsuruta und Blade of the Immortal (Band 1) von Hiroaki Samura, auf die ich irgendwann mal zufällig gestoßen bin und die ich mir dann aus einer Laune heraus gekauft habe.

Die Mangas "Blade of the Immortal", "Panorama of Hell" und "Spirit of Wonder" in einer Reihe.

Ganz bewusst lese ich Mangas erst seit 2017, seit ich auf die wunderbaren Werke Jiro Taniguchis gestoßen bin: wie z. B. Vertraute Fremde, Der spazierende Mann oder Der Gourmet. Slice-of-Life-Geschichten für eine erwachsene Leserschaft, ohne Albernheiten, unspektakulär und entspannt.

So richtig ging meine Lust auf Mangas aber erst im letzten Jahr los. Seit drei Jahren lerne ich jetzt Japanisch und beschäftige mich immer intensiver mit japanischer Kultur. Und zu der gehören eben auch Mangas. Und mir ist erst jetzt so richtig bewusst geworden, was für eine vielfältige und reichhaltige Bandbreite an toll erzählten Geschichten dieses Medium bietet. Die hier vorgestellten Titel dürften einen kleinen Vorgeschmack liefern, und doch nur an der Oberfläche kratzen.

Es sei noch erwähnt, dass ich vom Zeichnen keine Ahnung habe und diese Kunst hier nicht wirklich bewerten kann.

Blame! (Band 1) | Tsutomu Nihei

"Blame!" Band 1 im Regal stehend. Das Cover zeigt einen jungen Mann in einemn schwarzen, futuristischen Anzug vor einem weißen Hintergrund.

Der Name ist mir schon länger ein Begriff, so richtig neugierig wurde ich aber erst durch ein Video der Architektin Dami Lee, das sich mit der futuristischen Megastruktur im Manga beschäftigt. In dem folgen wir dem wortkargen Killy auf einer existenzialistischen Suche durch eben jene einst futuristisch wirkende Megastruktur, die sich nach einer nicht näher erwähnten Katastrophe in einer Art postapokalyptischem Verfall zu befinden scheint. Die oft an Escher und Giger erinnernde Architektur erzeugt eine ganz eigene faszinierende Atmosphäre, in einer geschlossenen und doch endlosen Trümmerlandschaft voller Artefakte und Geheimnisse. Killy ist eine Art Lone Gunman á la Clint Eastwood, der immer wieder auf neue kleine Gemeinschaften stößt und neuen grotesken Bedrohungen begegnet. Mutationen, Cyborgs, Verschmelzungen zwischen Mensch, Maschine und anderen Lebewesen.

Ein Bekannter von mir beklagte, dass hier gar keine Geschichte erzählt würde. Doch dem möchte ich widersprechen. Hier geht es um existenzielle Fragen in verfremdeter Kulisse, erzählt in Metaphern und dem, was wir zwischen den Zeilen finden. Etwas, für das wir viel Geduld und einen langen Atem mitbringen müssen, was uns aber dafür belohnt. Und es sieht einfach umwerfend toll aus.

Bei Cross Cult ist eine schöne Master Edition in der Übersetzung von Janine Wetherell erschienen, die der Bildgewalt des Mangas vom Format her gerecht wird.

Die Stadt und das Mädchen | Jiro Taniguchi

"Die Stadt und das Mädchen" im Buchregal stehend. Das Cover zeigt über die gesamte Fläche ein Mädchen in dessen Hintergrund sich die Silhouette einer Stadt abzeichnet.

Kaum ein Mangaka versteht es so gut, die Poesie des Alltags einzufangen, wie der 2017 verstorbene Jiro Taniguchi. Ob entspannte Spaziergänge durch verschiedene Stadtviertel, auf der Suche nach den verborgenen Schätzen des Alltags in Der spazierende Mann, oder die kleinen Freuden der Restaurantbesuche eines Handlungsreisenden in Der Gourmet, mit ruhiger Hand, ganz ohne Dramatik gelingt es Taniguchi, die Essenz des einfachen Lebens mit simplen, aber doch eleganten Strichen auf Papier zu bannen.

In Die Stadt und das Mädchen präsentiert er eine ähnliche Kulisse, verbunden mit seiner Leidenschaft zum Bergsteigen, führt aber noch etwas Dramatik ein, indem er die fünfzehnjährige Megumi verschwinden lässt und den besten Freund ihres verstorbenen Vaters auf die Suche schickt.

Bei den ganzen Enthüllungen, die Shiga über Megumis geheimes Leben herausfindet, musste ich an den Film The World of Kanako denken, der allerdings viel gewalttätiger und abgründiger ist. Der basiert auf dem gleichnamigen Roman von 2006, während Die Stadt und das Mädchen 2007 erschien. Schätze, die thematischen Überschneidungen sind eher Zufall.

Das Leben von Teenagerinnen in Tokyo fängt Taniguchi erstaunlich gut ein. Ich habe erst kürzlich eine Reportage gesehen, in der es um Mädchen geht, die aufgrund häuslicher Gewalt von zu Hause weggelaufen sind, daraufhin in Tokyo auf der Straße leben und dort leider leichte Beute für ältere Männer sind. Die Stadt und das Mädchen schneidet das Thema allerdings nur während der Ermittlungen von Shiga an. Im Fokus steht das Verhältnis von Berg zu Stadt, und ich vermute, Taniguchi wollte einfach mal einen Manga schreiben, in dem jemand ein Hochhaus besteigt.

Sehr gelungene Spurensuche nach einem vermissten Mädchen, die im Finale mit der Auflösung allerdings ein wenig schwächelt, was aber die tollen Zeichnungen mit ihrer feinen Strichführung wettmachen.

Ist in der deutschen Übersetzung von Tuswame und Resel Rebiersch bei Schreiber & Leser erschienen.

Slam Dunk | Takehiko Inoue

"Slam Dunk" Band 1 im Regal stehend. Cover zeigt einen Jungen Mann mit roten Haaren und einem Basketball in der rechten Hand. perspektive von vorne unten "gefilmt".

Im Dezember 2023 lief bei uns im Kino der Film The First Slam Dunk an. Der spielt komplett während eines einzigen Matches einer Oberschul-Basketballmannschaft, verleiht den Figuren und ihren Geschichten aber durch geschickt eingebundene Rückblenden viel Tiefe und Persönlichkeit. Für mich der beste Basketballfilm aller Zeiten und ein kleines Meisterwerk.

Der Film von Takehiko Inoue basiert auf seiner eigenen Manga-Reihe Slam Dunk von 1990 bzw. der Serienadaption, die von 1993 bis 1996 lief, aber mit einem Cliffhanger endete und ein entscheidendes Spiel ausließ. Dieses Match holte Inoue 30 Jahre später mit dem Film nach.

Slam Dunk ist ein klassischer Sport-Manga, in dem wir einige Schüler durch ihre jugendliche Sportkarriere begleiten. Direkt als Warnung vorweg: Band 1 ist 35 Jahre vor dem Film erschienen. Wer wie ich den Film zuerst gesehen hat, dürfte etwas enttäuscht sein, denn der Manga ist ein Kind seiner Zeit. Die Figuren sind anfangs nur Klischees von machohaften Jugendlichen, die sich gerne eins aufs Maul geben. Die Mädchen sind vor allem da, um sie zu bewundern. Das wirkt schon sehr, als hätte der Autor seine pubertären Fantasien umgesetzt.

Im Prinzip geht es um den rothaarigen Sakuragi Hanamichi, der von Basketball keine Ahnung hat, dem Schulteam aber beitritt, um Haruko Akagi zu beeindrucken, deren Bruder Teamkapitän ist. Und so begleiten wir ihn bei seinen stümperhaften Anfängen, die er durch seine körperlichen Fähigkeiten zu kompensieren weiß. Die Spieler sehen hier alle nicht wie Schüler aus, sondern haben den Körperbau von NBA-Profis.

Der Band ist ganz nett zu lesen, aber so richtig begeistern konnte er mich nicht. In den 90ern war die Reihe in Südostasien ein Riesenerfolg. Im Film 18×2 Beyond Youthful Days war erst kürzlich eine jugendliche Hauptfigur aus Taiwan zu sehen, die die Mangas vergöttert. Ich schätze, diese Art des relativ groben Erzählens hat vor allem Jungen mit ihren Gefühlswelten angesprochen. Mir hätte der Manga als Jugendlichem vermutlich auch besser gefallen.

In der deutschen Ausgabe im Format eines lustigen Taschenbuchs ist die Schrift in den Sprechblasen teilweise sehr klein gedruckt. Mit meiner alten Brille hatte ich da Schwierigkeiten beim Lesen, mit der neuen Gleitsichtbrille ist es aber kein Problem.

Ist in der deutschen Übersetzung von Martin Gericke bei Hayabusa erschienen.

Boys Run the Riot Bd. 2 | Keito Gaku

"Boys Run The Riot" Band 2 in einem Regal stehend. Cover zeigt links den trans Jungen Ryo, rechts neben ihm einen Arm auf seine Schulter gelegt eine der weiblichen Nebenfiguren mit längeren Haaren, die oben Schwarz sind, aber der Hälfte bis zu den Spitzen blond geferbt. Im Hintergrund links das Schild eines Konbinis, rechts ein Basketballkorb hinter einem Drahtzaun.

Falls ihr Band 1 noch nicht gelesen habt, hier gibt es meine Besprechung.

„Gefühlvoller und mitreißender Manga über junge Menschen, die noch nach ihrer Identität und Stimme suchen; die sich gegen die gesellschaftlichen Konventionen auflehnen und ihre Kreativität nutzen, um einen Platz im Leben zu finden. Ein Plädoyer dafür, wie wichtig es ist, die Interessen und Talente Jugendlicher zu fördern und ihnen zuzuhören. Kommt erfreulicherweise ganz ohne romantische Elemente aus.“

Mein einziger Kritikpunkt war, dass der Band einen Tick zu didaktisch geraten ist, in der Art wie er das Leben und die Nöte eines trans Jungen in der japanischen Gesellschaft schildert. Der Punkt fällt in Band 2 weg, hier wirkt jetzt alles noch organischer und lebendiger. Allerdings kommen auch ein paar romantische Elemente hinzu, die aber zum Teenagerdasein dazugehören.

Es werden weitere Figuren eingeführt, das Klamotten-Label nimmt an Fahrt auf und Ryo nimmt einen Nebenjob in einer Kneipe an, um sich Startkapital zu verdienen. Die Handlung wird komplexer und vielschichtiger, bleibt aber gelassen und leichtfüßig.

Ist in der deutschen Übersetzung von Gandalf Bartholomäus bei Carlsen erschienen.

The Limenal Zone | Junji Ito

"The Limenal Zone" im Regal stehend. Schwarz auf schwarz gemalt zwei Frauen die zu einer zu verschmelzen scheinen. Mit normalem Körper aber drei Augen und zwei Mündern.

Junji Ito gilt als Meister des grotesken Horrors in Japan. Sein ästhetischer Einfluss auf die J-Horror-Welle, die mit Ring losging, dürfte (vor allem durch Tomie von 1987) beträchtlich sein. Sein Meisterwerk Uzumaki erschien 1998/99 (das werde ich demnächst noch besprechen). Ganz so abgründig und brutal wie die Arbeiten seines Vobilds Hideshi Hino ist Itos Werk nicht, er setzt mehr auf Atmosphäre, Stimmung und einen beunruhigenden Schrecken, der nicht so offensichtlich daherkommt.

Band 1 von The Limenal Zone entstand während der Pandemie, als ihm die Ideen ausgingen und er alte Notizbücher durchforstete, woraus vier unheimliche Kurzgeschichten entstanden, die japanische Mythologie mit Schrecken verbinden.

In Trauerfrauenstraße, geht es um Frauen, die durch ihr Weinen die Trauer und den Schmerz von anderen nehmen, was für die Protagonist*innen der Geschichte, die zufällig auf sie stoßen, weitreichende Folgen hat. Ist atmosphärisch sehr dicht geworden. Itos große Stärke ist es, das Grauen durch eine sich steigernde Veränderung in den Gesichtern darzustellen, die von noch halbwegs normalen Gesichtsausdrücken zusehends ausgezehrter, manischer und unwirklicher bis grauenerregend werden.

Madonna erzählt von einer christlichen Mädchenschule, die von einem unheiligen Paar geleitet wird, das sich immer mehr in den religiösen Wahn steigert, mit furchtbaren Folgen für die Schülerinnen.

In Der Geisterfluss von Aokigahara stößt ein junges Paar am Fuße des Fujis auf einen unheimlichen Wald, der auf sie einen unwiderstehlichen Sog entwickelt.

Und Schlaf ein ist schon fast eine Hommage an den Slasher und Giallo, enthält aber trotzdem noch ein übernatürlich wirkendes Element, das eine Serienkiller-Serie von Morden noch unheimlicher macht.

Insgesamt enthält der mit seinen knapp 200 Seiten relativ dünne Band schöne kleine Gruselhappen für zwischendurch. Wie immer toll gezeichnet, mit einer gehörigen Portion an Grauen, die über plumpen Horror hinausgeht und auch eine psychologische Tiefe besitzt.

Ist in der deutschen Übersetzung von Jens Ossa bei Carlsen erschienen.

Frieren – Nach dem Ende der Reise | Kanehito Yamada und Tsukasa Abe

Die Anime-Umsetzung von Frieren – Nach dem Ende der Reise hat es nicht nur in meine Liste der 10 besten animierten Fantasy-Serien für Erwachsene geschafft, sondern ist für mich die beste Fantasy-Serie überhaupt. Da sich die Serie so ziemlich an die Vorlage hält, übernehme ich hier einfach meine Beschreibung:

Eine Elfenmagierin, ein Priester, ein Zwergenkrieger und ein Paladin retten die Welt vor einem Dämonenkönig. Und dann geht die Serie los. Sie kehren zurück, werden als Helden gefeiert und gehen ihrer Wege. Elfenmagierin Frieren ist unsterblich und hat ein anderes Zeitgefühl. Als sie nach einer kurzen Reise zurückkehrt, sind ihre Gefährten alte Männer geworden. Und bald stirbt der erste. Um Priester Himmel einen Gefallen zu tun, nimmt sie sich der magischen Ausbildung seines Mündels Fern an. Und so reisen die beiden durch die Welt, erfüllen Aufträge, wachsen an ihrer Reise und sammeln eine neue Gruppe um sich.

Frieren ist eine wunderschön animierte und sehr ruhig inszenierte Serie, deren Poesie in der Langsamkeit und dem unterschiedlichen Zeitempfinden liegt. Frieren reflektiert über die Abenteuer mit ihren Gefährten, die wir in kurzen Rückblenden zu sehen bekommen, und versucht daraus zu lernen. In allen anderen hier (im oben verlinkten Artikel) aufgelisteten Serien liegt der Schwerpunkt auf Kämpfen, nicht so bei Frieren. Und allein das ist im Fantasygenre schon eine angenehme Abwechslung. Fun Fact, die Figuren wie Himmel, Eisen oder Heiter heißen auch in der japanischen Originalfassung so und die Namen entsprechen teils ihren Eigenschaften. Da könnt ihr euch wohl selbst ausmalen, ob Baron Lügen zu trauen ist.

Die Manga-Vorlag kommt natürlich etwas reduzierter daher, muss in wenigen Einzelbildern darstellen, wofür sich die Serie viel Zeit nehmen kann. Der Charme der Serie ist aber auch hier gegeben. Genau das richtige für einen entspannten Nachmittag, der trotzdem ein paar philosophische Gedanken zur Vergänglichkeit und zum Zeitempfinden enthalten darf und das Fantasy-Genre mal von einer anderen Seite präsentiert.

Ist in der deutschen Übersetzung von Jan Lukas Kuhn bei Altraverse erschienen.

2 Kommentare

  • Schöne Mischung! Ich habe bisher keine der Reihen gelesen, aber den Frieren Anime gerade gesehen und immerhin den ersten Band von „Boys run the riot“. Letzteres gefiel mir vom Thema her, aber leider nicht vom Artstyle, weshalb ich nie weitergelesen habe. Bei Frieren wäre ich mir unsicher, ob ich nicht lieber darauf warte, dass der Anime weitergeht.
    Was mich interessieren würde: kannst den Finger draufhalten, warum du dann später doch noch Manga abgewinnen konntest?

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    • Ich denke, das lag an Jiro Taniguchi, der mir mit seinen Mangas gezeigt hat, was in diesem Medium auch abseits großer Trend-Serien wie „One Piece“ usw. geht, das auch Alltag und vermeintlich einfache, langweilige Themen spannend sein können. Und zum anderen konnte ich mir ab dem Zeitpunkt auch Mangas besser leisten als vorher als Student. Und ich hatte mich – trotz meiner Liebe zum Anime und zu Japan – auch nie wirklich damit beschäftigt, was es da alles gibt.

      „Frieren“ soll übrigens im Januar 2026 weitergehen. Ich würde sage, wenn du die Serie gesehen hast, brauchst du die Mangas auch nicht unbedingt, da die Serie sie ziemlich gründlich abdeckt, aber meiner Meinung nach sogar noch etwas mehr in die Tiefe geht.

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