Six Four | Hideo Yokoyama

E-Book-Cover von »Six Four«. Im Hintergrund eine schwarz-weiß-Nahaufname des Kopfes einer jungen Frau mit langen schwarzen Haaren. Genau in der Mitte geht ein schmaler Streifen von oben nach unten, auf dem nächtliche Großstadtlichter zu sehen sind, dazu der Name des Autors und der Buchtitel.

Hauptfigur ist Mikami, ein ehemaliger Detective, der nach 15 Jahren bei der Kriminalpolizei zur Pressestelle einer Provinzinspektion versetzt wird, die mit mehreren hundert Beamten jetzt auch nicht so klein ist, und die er als Direktor leiten soll. Der Besuch des Comissioners aus Tokio steht an, des höchsten Polizeibeamten des Landes. Der will aus PR-Gründen den Vater eines Entführungsopfers besuchen, das vor 14 Jahren trotz Lösegeldzahlung ermordet wurde. Ein Fall, in den auch Mikami verwickelt war, und bei dem etwas von den Vorgesetzten vertuscht wurde, was er nun versucht herauszufinden. Wobei er in ein Wespennest sticht und von überall Steine in den Weg gelegt bekommt.

Zudem ist seine eigene 16-jährige Tochter, die mit psychischen Problemen zu kämpfen hat, vor einiger Zeit von zu Hause weggelaufen und wird seitdem vermisst. Eine Situation, die an ihm und seiner Frau nagt. Letztere war selbst bei der Polizei, verlässt aber das Haus nicht mehr, seit es mehrere Anrufe gegeben hat, deren Anrufer*in nichts gesagt hat. Sie hofft, dass es ihre Tochter war und dass sie noch mal anruft.

Über mehr als 600 Seiten begleiten wir Mikami dabei, wie er versucht, sich durch das Minenfeld der lokalen Polizeibürokratie zu manövrieren. Das ist von Hideo Yokoyama alles superkomplex mit zahlreichen Figuren und unzähligen Verflechtungen aufgebaut und unglaublich detailliert erzählt. Der Roman wechselt von Thriller zu Familiendrama zu Verwaltungsepos und verknüpft alles so geschickt miteinander, dass wir erst am Ende merken, wie clever alles miteinander zusammenhängt.

Gleichzeitig ist der fast ausschließlich im inneren Polizeikosmos spielende Roman ein subtiles Porträt der japanischen Gesellschaft in all ihren Facetten. Wer mit der japanischen Gesellschaft nicht so vertraut ist, erhält hier einen tiefgehenden Einblick in die Hierarchien und sozialen Verpflichtungen, die uns im Westen zu nächst fremdartig erscheinen.

Aufgrund seiner Länge und Detailversessenheit könnte das Buch von manchen Leser*innnen als langweilig empfunden werden, aber aufgrund des rasanten und augenöffnenden Schlussteils, lohnt es sich, durchzuhalten.

Hideo Yokoyama war selbst lange Investigativjournalist und versteht es hervorragend, das Verhältnis zwischen Presse und Polizei zu schildern, das in Japan so ganz anders ist, als bei uns. Mir hat es bei der Lektüre allerdings geholfen, durch Jake Adelsteins Tokyo Vice schon mehr darüber zu wissen.

Gelesen habe ich die englische Übersetzung von Jonathan Lloyd-Davies gelesen. Die deutsche Übersetzung des Atrium Verlags ist leider nur die Übersetzung der englischen Übersetzung und somit nicht für mich infrage gekommen. Auf Japanisch heißt das Buch ロクヨン, Rokuyon.

 

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