Kim Jiyoung, geboren 1982 | Cho Nam-Joo
Pogopuschel | Veröffentlicht am |
Wie sah das Leben für Frauen in Südkorea von Zeiten der Militärdiktatur bis heute aus? Ist die Gesellschaft so bunt und offen, wie die K-Pop-Kultur vermuten lässt. Nein, sagt Cho Nam-Joo, die in ihrem Roman Kim Jiyoung, geboren 1982 von der Situation der Frauen in Südkorea erzählt.
In keiner Industrienation dürfte das Patriarchat noch so verankert sein wie in Südkorea. Als in den 1980ern die Abtreibungsgesetze gelockert wurden, kamen plötzlich doppelt so viel Jungen wie Mädchen auf die Welt. Und ich frage mich, was die Südkoreaner*innen glaubten, wo in Zukunft die neuen Jungen herkommen sollten.
Es sind genau diese Verhältnisse, über die Cho Nam-Joo in ihrem Roman Kim Jiyoung, geboren 1982 schreibt, in dem die Protagonistin von frühester Kindheit erlebt, dass sie und ihre Schwester zusammen nur so viel Wert sind wie ihr Bruder, und sie es ja nicht wagen sollten, sich an etwas zu bedienen, das dem kleinen Prinzen zusteht. Sie wachsen in einer Gesellschaft auf, in der die Geburt einer Tochter einer Tragödie gleichkommt und die Schuld der Mutter zugeschoben wird, denn wer sollte sonst dafür verantwortlich sein. Muss schon alles schön dem Konzept des Frauenhasses folgen, den übrigens auch die Groß- und Schwiegermütter internalisiert haben.
Wir lernen die Protagonistin in einer Phase ihrer Mutterschaft kennen, in der es ihr psychisch gar nicht gut geht. Sie spaltet irgendwie ihre Persönlichkeiten auf und gibt vor (oder glaubt auch) andere Frauen aus ihrem Leben zu sein. Wie realistisch ein solches Verhalten ist, kann ich nicht beurteilen, aber es ist wohl im Kontext des Romans auch allegorisch zu sehen. Schnell wechseln wir zu einem männlichen Erzähler, der Kim Jiyoungs Lebensgeschichte in einem sehr nüchternen, sachlichen Ton schildert.
Dass der männliche Ich-Erzähler alles so formal und trocken erzählt, mit vielen Fakten, die durch Fußnoten und Verweisen auf Statistiken und Studien unterstützt werden, hat einen Grund, der sich erst am Ende offenbart, weshalb ich das nicht spoilern möchte. Doch obwohl er die Diskriminierung der Frau in der koreanischen Gesellschaft in allen Facetten so klar und verständlich am Beispiel von Frau Kim erklärt, erleben wir zum Schluss – und so viel sei gespoilert –, dass er nichts, aber auch absolut nichts daraus gelernt hat und prompt wieder in das Denken und die Verhaltensweisen des Patriarchats verfällt. Was es nur realistischer macht, denn auch bei uns läuft es doch oft so ab. Vordergründig geben wir Männer vor, verstanden zu haben, geben uns empathisch und progressiv, aber wenn es drauf ankommt, verhalten wir uns wieder genauso wie im letzten Jahrtausend, oder zeigen, dass alles nur vorgetäuscht war, um weniger Stress zu haben.
In diesem Buch geht es ausschließlich um soziale und strukturelle Gewalt, keine körperliche, doch es sind genau diese patriarchalen Strukturen, die häufig zu häuslicher Gewalt und Femizid führen (siehe 4B-Movement). Doch auch ohne körperliche Gewalt ist der Druck auf Frauen wie Kim Jiyoungs gewaltig. Geht sie weiter arbeiten, heißt es, sie würde das Kind vernachlässigen und käme ihren Pflichten als Mutter nicht nach. Kümmert sie sich ganz um Kind und Haushalt, wird sie als Schmarotzerin tituliert. Schon vor der Schwangerschaft geht es los. Der gesellschaftliche Druck, ein Kind zu bekommen ist enorm, gleichzeitig finden Frauen kaum Stellen, weil sie durch eine potenzielle Schwangerschaft ein „Risiko“ für den Arbeitgeber darstellen. Werden sie nicht schwanger und machen Karriere, bleiben der Druck und die Vorwürfe durch Gesellschaft und Umfeld bestehen, das Land im Stich zu lassen.
Ein Teufelskreis, aus dem es kein Entrinnen gibt, oder zumindest kaum eines. Denn viele Frauen sehnen sich deshalb danach, ins Ausland zu gehen. Bei einer Lesung in Berlin im Frühjahr 2023 sagte die junge Autorin Cheon Seonran (Tausend Arten von Blau): »Wer wolle denn nicht aus Südkorea weg?«.
Ein sehr lesenswertes Buch über die Situation von Frauen in Südkorea, das nicht durch seinen nüchternen, faktischen Stil mitreißt, sondern durch die Wut, die durch die Verhaltensweisen gegenüber der Protagonistin und Frauen allgemein erzeugt wird.
Die deutsche Ausgabe ist bei Kiepenheuer & Witsch in der Übersetzung aus dem Koreanischen von Ki-Hyang Lee erschienen.
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