James Tiptree Jr. – Das Doppelleben der Alice B. Sheldon | Julie Phillips

Hardcoverausgabe des Buchs "James Tiptree Jr. - Das Doppelleben der Alice B. Sheldon" von Julie Phillips, fotografiert in einem Bücherregal mit dem Cover nach vore, das ein Foto der ca. 50jährigen Alice B. Sheldon im Seitenprofil zeigt.

Der Titel des Buches verrät es ja schon, in dieser Biografie geht es um das Leben von Alice B. Sheldon, die unter dem Pseudonym James Tiptree Jr. zu einer berühmten Science-Fiction-Schriftstellerin wurde, ihre wahre Identität lange geheim hielt, aber auch jenseits davon ein sehr interessantes Leben führte, aber auch kein einfacher Mensch war.

Hätte es schon sozialen Medien gegeben, als bekannt wurde, dass hinter dem Pseudonym James Tiptree Jr. eine Frau namens Alice B. Sheldon steckt, ein Shitstorm wäre wohl unvermeidlich gewesen. Der blieb seinerzeit aus, von den zahlreichen Briefreund*innen, zu denen Ursula K. Le Guin, Joanna Ruß, Harlan Ellison uvm. gehörten, fühlte sich niemand betrogen und im Fandom hielt sich die Aufregung in Grenzen.

Zu ergründen, warum Sheldon sich so lange hinter einer männlichen Tarnidentität versteckt hat, dafür bedarf es tatsächlich einer solch ausführlichen Biografie, wie sie Julie Phillips hier vorgelegt hat, denn das Leben der Alice B. Sheldon war komplex, abenteuerlich und sehr abwechslungsreich. Kindheit mit langen Afrikareisen, 2. Weltkrieg in Deutschland, Dienst bei der CIA, eine Psychologiepromotion, aber heimlich die Sehnsucht danach, Science Fiction zu schreiben. Dazu eine nie wirklich ausgelebte Zuneigung zu Frauen, eine schwierige Beziehung zu der überpräsenten Mutter, Depressionen und Medikamentenabhängigkeit.

Eine Mammutaufgabe für eine Biografin, die Phillips mit Bravour gemeistert hat. Schon in den Neunziger-Jahren hat sie angefangen, Zeitgenoss*innen und Freund*innen Tiptrees zu interviewen, hatte Zugriff auf den schriftlichen Nachlass Sheldons, der aus unzähligen Briefen und Tagebucheinträgen bestand, und natürlich die Berichterstattungen aus Zeitungen zu Zeit von Sheldons Kindheit und die Reiseberichte ihrer ebenso illustren wie faszinierenden und erfolgreichen Mutter, die in der High Society eine bekannte Größe und als Autorin erfolgreich war.

In chronologischer Reihenfolge arbeitet Phillips Sheldons Leben mit all seinen abenteuerlichen Stationen ab, dringt aber auch tief in die komplexe und widersprüchliche Psyche der Autorin vor, in die vor allem die ausführlich Briefkorrespondenz Einblicke gewährt. Phillips scheint auch bemüht zu sein, ein möglichst authentisches Bild Sheldons zu zeichnen, ohne zwanghaft zu versuchen, sie in ein möglichst positives Licht zu rücken. Denn sympathisch ist mir Alice B. Sheldon nach Lektüre dieser Biografie nicht wirklich geworden. Was aber nichts an meiner Bewunderung für ihr Leben und ihre Geschichten ändert.

Apropos, auf die wird natürlich auch ausgiebig eingegangen, wie und warum sie entstanden sind, welche nie veröffentlicht wurden, welche Romanversuche im Sande verliefen, wie Tiptree ihr eigenes Werk sah, wie sich die Storys im Laufe der Zeit verändert haben und warum sie ihrerzeit so revolutionär waren.

Fasziniert bin ich auch davon, wie gut vernetzt Tiptree in der Szene war, obwohl sie nie einem Con beiwohnte und ausschließlich per Brief kommunizierte. Frederik Pohl, Harry Harrison und Harlan Ellison gehörten zu ihren ersten wichtigsten Kontakten in der Szene, auch weil sie Geschichten von ihr veröffentlichten, zu ihren besten Freundinnen mit dem wohl ausführlichsten und am tiefsten gehenden Briefkontakt gehörten Ursula K. Le Guin und Joanna Russ, über die man in dieser Biografie auch eine Menge interessanter Sachen erfährt. So kommt es auch nicht überraschend, dass Julie Phillips aktuell an einer Le-Guin-Biografie arbeitet, die auch auf Deutsch erscheinen wird (kann aber noch etwas dauern).

Die Biografie hat durchaus auch ein paar Längen, wenn Sachen mehrfach wiederholt werden oder Sheldon in ihren Briefen ausgiebig über ihre Gemütszustände berichtet. Ich muss gestehen, ihre Briefe mit dem flapsigen Tonfall Tiptrees, der mir ein bisschen zu gewollt jovial-männlich rüberkommt, haben mir nicht wirklich gefallen. Das tut dem Genuss des Buchs, dessen 800 Seiten ich in zwei Wochen gelesen habe aber keinen Abbruch.

Erschienen ist James Tiptree Jr. – Das Doppelleben der Alice B. Sheldon in der ausgezeichneten Übersetzung von Margo Jane Warnken bei Septime. Der Verlag, der auch die wunderschöne Tiptree-Gesamtausgabe herausgegeben hat. Von der habe ich bisher übrigens nur Doktor Ain gelesen, mit dem Rest mache ich demnächst weiter, ich wollte erst die Biografie lesen, bevor ich mich voll und ganz dem Werk widme.

a

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert