„Hurts So Good – The Science and Culture of Pain on Purpose“ von Leigh Cowart

Leigh Cowart steht auf Schmerzen. Als Kind und Jugendliche besuchte sie über viele Jahre eine Ballettakademie, wo sie von sadistischen Lehrer*innen gequält wurde, ihre Füße und Zehen unbeschreibliche Qualen durchstanden und sie eine lebensbedrohliche Essstörung entwickelte. Trotzdem würde sie diese Zeit nicht missen wollen. Jetzt als Mittdreißigerin und arrivierte Journalistin ist es ihr gelungen, diesen Drang, Schmerz zu spüren, in gesundere Bahnen zu lenken, indem sie eine BDSM-Beziehung mit ihrem Partner führt. Aber sie fragt sich: Wo kommt diese Lust auf Schmerzen eigentlich her?

Dafür beschäftigt sie sich in diesem Buch durchaus auch mit BDSM, angefangen von katholischen Flagellanten vergangener Jahrhunderte bis zur Entstehung der Begriffe Sadismus und Masochismus durch den Marquis de Sade und Leopold von Sacher Maso (dessen Lebensgeschichte Cowart ausführlich nachzeichnet) bzw. den Psychiater Richard von Kraft Ebbing, sowie den Studien von Alfred Charles Kinsey. Doch das nimmt nur einen kleinen Teil des Buches ein, denn der Drang, den eigenen Körper an seine Grenzen und darüber hinaus zu bringen, ihn unglaublichen Qualen und Schmerzen auszusetzen, beschränkt sich nicht auf den Bereich der Sexualität.

Cowart besucht zum Beispiel ein Chili-Wettessen, in dessen Rahmen sie auch von der schärfsten Chilischote der Welt probiert, was zu äußerst unangenehmen Stunden führt, die in ihr den Wunsch hegen, doch lieber sterben zu wollen, als das noch länger ertragen zu müssen. Sie nimmt am Neujahrseisbaden in New York teil, besucht eine russische Sauna und eine ehemalige Mitballerina, die jetzt eine muskelbepackte MMA-Kämpferin ist. Ausschließlich als Zuschauerin ist sie bei einem Ultramarathon dabei, der über zwei Tage dauert und bei dem so lange gelaufen wird, bis nur noch eine*r am Ende steht.

Leigh Cowart ist Wissenschaftsjournalistin und so geht sie das Thema auch an. Neben all den oben geschilderten Erfahrungen möchte sie auch die Wissenschaft hinter dem Schmerz verstehen und interviewt dazu zahlreiche Experten, darunter Neurologen, Psychologen usw. Gerade im ersten Drittel des Buches geht es sehr theoretisch zu. Wer nach dem Prolog, in dem sie eine ihrer SM-Sessions beschreibt, mehr in die Richtung erwartet, dürfte etwas enttäuscht werden. Denn Hurts So Good ist ein Sachbuch und Cowart geht dabei gründlich vor. Dass die Lektüre dabei aber nie trocken wird, liegt daran, dass Cowart unglaublich gut schreiben kann.

Akribisch arbeitet sie auch den Unterschied zwischen punktuell selbst zugefügtem Schmerz heraus, der Endorphine im Körper freisetzen und damit ein Rauscherlebnis auslösen kann. Und Schmerz, den niemand haben möchte, wie chronischen Schmerz aus gesundheitlichen Gründen. Eine ihrer Freundin leidet z. B. unter chronischen Schmerzen, kann mit diesem Schmerz aber besser umgehen, seit sie BDSM praktiziert, da ihr der dort zugefügte freiwillige Schmerz hilft, den unerwünschten Schmerz unter Kontrolle zu halten.

Das Thema ist äußerst komplex und eine abschließende Klärung der Frage ist nicht wirklich möglich, aber Cowart liefert verschiedene nachvollziehbare Erklärungsansätze, die sie für sich persönlich zum Fazit bringt: Weil es Spaß macht.

P. S. Dass Lust und Interesse BDSM deutlich weiter verbreitet ist, als viele offen zugeben würden, zeigen zahlreiche Studien und auch der Erfolg der Shades of Grey-Bücher. Die erzählen allerdings nicht von einer gesunden BDSM-Beziehung, sondern versuchen eine toxische, missbräuchliche Beziehung, in der ein kontrollsüchtiger Mann eine Frau seinem Willen unterwerfen will, als normale BDSM-Beziehung zu verkaufen.

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