„Amerikas Gotteskrieger – Wie die Religiöse Rechte die Demokratie gefährdet“ von Annika Brockschmidt

Wer glaubt, mit dem Wahlsieg Joe Bidens bei der letzten Präsidentschaftswahl sei der Spuk, der mit Donald Trump ins Weiße Haus einzog, vorbei, ist entweder unglaublich naiv oder hat keine Ahnung über die aktuelle politische Lage der USA (um gleich mal mit einer Leser*Innenbeschimpfung anzufangen). Wie Annika Brockschmidt in Amerikas Gotteskrieger scharfsinnig analysiert, war Trump nur der vorläufige Höhepunkt einer seit Jahrzehnten geplanten Entwicklung gut geölter und effizient und effektiv laufender Netzwerke der Religiösen Rechten der USA.

Dahinter stecken reiche rechte christliche Fanatiker, die eine rassistische und antidemokratische Agenda verfolgen. Ziel ist es, die bisherige Demokratie durch eine autoritäre Theokratie zu ersetzen, die faschistische Züge hat, und alles diskriminiert und unterdrückt, was nicht christlich, weiß und männlich ist. Ein System toxischer Männlichkeit, das auch von vielen Frauen unterstützt wird.

In Amerikas Gotteskrieger stellt uns Annika Brockschmidt faktenreich, kompetent und gut strukturiert dieses System mit seiner Geschichte und seinen Strukturen ausführlich und klar verständlich vor. Die Bedrohung für die amerikanische, aber auch unsere Demokratie, ist viel größer als die meisten annehmen oder zu glauben bereit sind, und das gilt auch für die Demokraten in den USA sowie die meisten politischen Analysten und Kommentatoren.

Während die Demokraten nur an die nächste Wahl denken, plant die Religiöse Rechte in Jahrzehnten und Jahrhunderten. Gemeint sind damit vor allem Mitglieder evangelikaler Kirchen, teilweise aber auch katholische Hardliner. Sie sehen sich im Auftrag Gottes handeln, sozusagen die letzte Schlacht gegen die Truppen Satans ausfechten, was auch erklärt, warum die republikanische Partei, die inzwischen von diesen Extremisten dominiert wird, keinerlei Interesse an einer Zusammenarbeit mit den Demokraten hat und kategorisch all deren Vorhaben und Beschlüsse blockieren, auch wenn diese den eigenen Wähler*innen zugutekommen würden.

Rechte Netzwerke

Brockschmidt stellt uns die Strukturen dieser rechten Netzwerke vor, die bis zurück in den amerikanischen Bürgerkrieg gehen und über die Gründung des Ku Klux Klans, der Unterstützung Barry Goldwaters bis in die Gegenwart reichen. Dabei handelt es sich nicht um eine homogene Gruppe, wie die Illuminaten, die angeblich im Geheimen die Geschicke der Welt lenken, sondern um eine Fülle von unterschiedlichen Gruppen, Kirchen, Verbänden und Netzwerken, die immer wieder Zweckbündnisse miteinander eingehen.

Die Autorin zählt sie alle auf, die Organisationen, die gegründet wurden, um die öffentliche Meinung, Politiker und Gerichte zu beeinflussen, und manipulieren, und sie arbeitet heraus, wie erfolgreich sie dabei sind. Die Christliche Rechte denkt nicht einfach an die nächsten Wahlen, sie ist »in for the long game«, plant in Jahrzehnten. Punktuelle Niederlagen wie bei der letzten Präsidentschaftswahl werden mit einkalkuliert und zum eigenen Vorteil genutzt. Die Lüge von der gestohlenen Wahl hat sich inzwischen bei einer Mehrheit aller Republikaner fest im Denken verankert. Von nun an kann jede Wahl infrage gestellt werden. In republikanischen Bundesstaaten werden gerade im Rekordtempo Gesetze verabschiedet, die Minderheiten das Wählen erschwert, Gerrymandering wird bei der Neuordnung von Wahlbezirken zu Gunsten der GOP betrieben. Gesetze und Gerichtsurteile zur Diskriminierung von LGBTQIA+-Personen werden verabschiedet und gefällt.

Urteile bzw. Gerichtsverhandlungen wie jener zu Kyle Rittenhouse zeigen, wie sehr White Supremacy im Justizsystem verankert ist. Der Mörder Rittenhouse bekommt von mehreren Senatoren ein Praktikum angeboten, Donald Trump trifft sich mit ihm und feiert ihn. Gewalt wird gebilligt und begrüßt, so lange sie von weißen, christlichen Männern mit rassistischen Ansichten ausgeht. Verdammt wird sie nur, wenn sie von People of Color kommt, oder von weißen, die sich mit Black Lives Mater solidarisieren.

Reizthemen

Die Religiöse Rechte setzt dabei immer wieder auf Reizthemen, die ihnen aktuell am besten dienen. Momentan ist es der Kampf gegen Abtreibung. Vor noch wenigen Jahrzehnten haben viele Evangelikale und Politiker wie Jimmy Carter oder Ronald Reagan Abtreibung befürwortet, ebenso Fernsehprediger wie Billy Graham und selbst Donald Trump. Doch sobald es ihren politischen Zielen dient, Macht zu erlangen, stimmen sie in den Chor der Extremisten ein und verteufeln sie. Letztendlich geht es dabei um Kontrolle und Macht über den weiblichen Körper, die Unterdrückung der Frau.

Denn im rechten christlichen Weltbild hat diese dem Mann untertan zu sein, der sich wiederum nur Gott gegenüber zu verantworten hat, und da dieser sich mit Meinungsäußerungen in letzter Zeit rar macht, wird alles, was in der Bibel steht nach seinen Bedürfnissen interpretiert. Heißt, der Mann ist ein sexuelles Wesen, das seine Triebe ausleben muss. Diese zu befriedigen, ist Aufgabe der Ehefrau. Geht er fremd, ist sie schuld, weil sie ihm nicht die nötige Aufmerksamkeit schenkte. Vergewaltigt er, ist das Opfer schuld. Und so ist es für die frommen Evangelikalen auch in Ordnung, Vergewaltiger in hohe Ämter zu wählen, so lange diese weiterhin deren Ziele verfolgen. Und jemand wie Trump weiß, was sie hören wollen.

Die Christliche Rechte steckt voller Widersprüche, aber da sie sich komplett von der Realität, von Wissenschaft und Fakten verabschiedet hat, ist ihr das egal. Einerseits tritt sie zutiefst antisemitisch auf, andererseits unterstützt sie Israel, wie bei der Verlegung der US-Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem.

Der Nachwuchs soll von klein auf indoktriniert werden. Entweder per Homeschooling oder in christlichen Privatschulen, Collages und Universitäten, von denen es schon viele gibt. Das staatliche Schulsystem soll zerschlagen werden. Dahinter stecken auch reiche Familien, wie die von Trumps ehemaliger Bildungsministerin Betsy DeVos.

Man wird schon regelrecht erschlagen mit Namen von Akteuren und Organisationen der Christlichen Rechten, da lohnt es sich, sich noch über das Buch hinaus mit der Thematik zu beschäftigen, zum Beispiel die von Brockschmidt erwähnte Netflixdoku The Familiy zu schauen. Teilweise kommt es zu Wiederholungen und Überschneidungen in den einzelnen Kapiteln, was aber eben den komplexen Verflechtungen der Religiösen Rechten untereinander geschuldet ist. Die sind so unglaublich gut vernetzt und aufgestellt, man*frau glaubt es kaum. Eine gut geölte Propagandamaschine, die Linke, Liberale und Demokraten wie am Ring durch die Nase vorführt.

Abschließende Betrachtungen

Ich habe ja an der Freien Universität Berlin einen Abschluss in Nordamerikastudien gemacht und verfolge die politische Lage in den USA weiterhin aufmerksam, doch so kompakt und geballt, wie Annika Brockschmidt die Entwicklungen der letzten Jahrzehnte zusammenfasst und analysiert, gruselt es mich trotzdem ob der gefährlichen Lage, in der sich die USA und die dortige Demokratie befinden. Amerikas Gotteskrieger sollte Pflichtlektüre für alle sein, die sich für die politische und gesellschaftliche Situation der USA, den Zustand der Demokratie und alles, was da noch kommen mag interessieren.

Ergänzend möchte ich dazu noch Hiding in Plain Sight von Sarah Kendzior empfehlen, das genauer auf die Entwicklung Trumps eingeht. Auf meinem alten Blog gibt es eine ausführlichere Besprechung.

Und allen, die glauben, solche Entwicklungen seien im deutschsprachigen Raum unmöglich sei auch noch Natascha Strobls Buch Radikaler Konservatismus ans Herz gelegt, das eindrucksvoll zeigt, dass solch demokratiegefährdende Entwicklungen hier schon längst im Gange sind. In Österreich noch stärker als in Deutschland, aber wir sind momentan ja in allem etwas träge und langsam.

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