Gute Nacht, Tokio | Atsuhiro Yoshida

Buchcover von Atsuhiro Yoshidas Roman »Gute Nacht, Tokio« die weißen Silliouetten von fünf Personen, die mit dem Kopf zur »Kamera« an einem Tresen sitzen. Die in der Mitte hat einen Nachteulenkopf. Im Hintergrund ein Nachthimmel mit kleinen Sternen.

Ich liebe die Nacht. Ich bin eine Nachteule. Und ich liebe Geschichten über die Nacht, über Nachtschwärmer, Menschen, die nachts unterwegs sind. In Gute Nacht, Tokio erzählt Atsuhiro Yoshida von solchen Menschen. Keine Partygänger, sondern Leute, die nachts arbeiten oder aus anderen Gründen unterwegs sind. Matsui der Fahrer vom Mitternachtstaxi, Kanako von der Telefonseelsorge, Mitsuki die Requisiteurin, die immer so spät losgeschickt wird, um die unmöglichsten Dinge aufzutreiben. Der Meisterdetektiv Shuro, dessen berufliche Erfolge zu erfolgreichen Filmen wurden und der seinem verstorbenen Vater, dem Schauspieler in Nachtkinos nachspürt, wo seltene Filme mit ihm laufen.

Am Tag ist Tokio eine gesittet durchgetaktete Stadt, die wie ein Uhrwerk funktioniert, in der Menschen in Anzügen uniformiert im Gleichschritt aus der U-Bahn zum Arbeitsplatz marschieren, um ja nicht zu spät zu kommen. Doch nachts zeigt sich die japanische Gesellschaft von einer anderen Seite, wenn die Salarymen nach einem Besäufnis mit den Kollegen aus den Bars und Host-Clubs torkeln, kaum noch geradeaus gehen könne und sich von ihrer enthemmten Seite geben.

Doch dieses Tokio spielt bei Yoshido keine große Rolle. Er konzentriert sich auf jene, die aufgrund der beruflichen Tätigkeit, nachts arbeiten oder wegen der aufopfernden Arbeitskultur (ganbaru) bis in die Nacht hinein. In bester Short-Cuts-Manier erzählt er kleine Geschichten und Schicksale, die sich immer wieder mal überschneiden. Von schrägen Momenten mit skurrilen Figuren, kleine Herzlichkeiten. Nichts übermäßig Dramatisches, aber mit viel Atmosphäre, nie surrealistisch, aber doch der Nacht entsprechend entrückt.

Ich bin durch Bettina Schnerrs Besprechung auf ihrem Blog Bleisatz auf das Buch aufmerksam geworden. Sie vergleicht es mit der Netflix-Serie Midnight Diner: Tokio Stories – meiner Lieblingsserie. Und was Atmosphäre und Schrulligkeit der Geschichten und der Figuren angeht, ist der Vergleich durchaus treffend. Nur das nicht ein Treffpunkt so im Mittelpunkt steht, auch wenn das Bistro der vier Frauen, die vorher ihren jeweiligen Imbiss aufgeben mussten, im letzten Drittel durchaus ein wenig mehr in den Fokus rückt.

Die Übersetzung aus dem Japanischen stammt von Katja Busson. Erschienen ist das Buch im cass Verlag, der auf japanische Literatur spezialisiert ist.

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