Uzumaki | Junji Ito
Pogopuschel | Veröffentlicht am |
Markus Mäurer, 07.04.2025
Wenn das Grauen in die Kleinstadt Einzug hält, heißt es bei den Erwachsenen: »Don’t Look Up«. Es sind die Kinder und Jugendlichen, die bemerken, dass hier etwas nicht stimmt. Die ideologiefrei auf das schauen, was nicht sein darf, und versuchen, den mysteriösen Vorkommnissen auf die Spur zu kommen. Und so entwickelt sich der Kleinstadthorror auch zum Coming of Age, stehen doch der übernatürliche Schrecken und das Unverständnis der Erwachsenen für die Veränderungen der Pubertät, die junge Menschen aufwühlt und in eine Welt werfen, die voller Widersprüche und Rätsel steckt.

Der Kleinstadthorror dürfte zu den beliebtesten Subgenres des Horrors zählen, ob Ray Bradburys Das Böse kommt auf leisen Sohlen, Stephen Kings Es oder Dan Simmons’ Sommer der Nacht, es sind die Augen von Kindern, durch die wir das Grauen beobachten. Es sind die Jugendlichen, mit denen wir mitfiebern und bangen, die uns zurück in eine Zeit führen, deren Wirren wir lange hinter uns geglaubt haben, die uns aber für immer geprägt hat und die jederzeit wieder hochkommen kann.
Auch Junji Ito ist ein Meister seines Fachs und braucht sich mit Uzumaki nicht hinter den oben erwähnten Autoren zu verstecken. Was einst als in einem Magazin veröffentlichte Manga-Serie begann, ist in dieser prachtvollen Ausgabe von Carlsen ein 600 Seiten starkes Opus Magnum, das uns in einer unbarmherzigen Spirale immer tiefer in den Abgrund zieht.
Der Magazin-Charakter ist den einzelnen Kapiteln in diesem Band anzumerken, inhaltlich sind das anfangs noch sehr unterschiedliche Episoden, mit kleineren bis größeren Vorfällen, die wie Puzzleteile in einem Mosaikroman wirken, sich aber Stück für Stück zu einem unheilvollen Gesamtbild zusammenfügen.
Unser roter Faden ist die Schülerin Kirie, aus deren Perspektive wird die komplette Geschichte erleben. Sie und ihr Freund Shuichi sind die Ersten, die bemerken, dass hier etwas nicht stimmt. Menschen fangen an, sich merkwürdig zu verhalten, überall tauchen diese kleinen Spiralen auf. Was hat es nur mit diesen Spiralen auf sich? Vor allem Shuichi nimmt diese Frage ziemlich mit.
Shuichis Vater ist es auch, der den Spiralen als Erstes anheimfällt, der sie stundenlang gebannt bis verloren anstarrt, sie sammelt, mit einem Gesichtsausdruck, der immer manischer wird. Die Spiralen sind überall: in den Gehäusen der Schnecken, im wirbelnden Wind, im strudelnden Wasser, in der Töpferware von Kiries Vater und schließlich in der Rauchschwade des Krematoriums, die sich drohenden über dem Libellenweiher formiert.
Narben, Haare, Grashalme, Wolken, alles wird zur Spirale und bring Unheil mit sich. In sich immer drastischer steigernden Episoden erlebt Kirie voller Schrecken, wie die Welt um sie herum aus den Fugen gerät und die Menschen, die sie liebt, langsam den Verstand verlieren. Bis das Grauen konkret Gestalt annimmt und einen blutigen Feldzug durch die Stadt führt.
Junji Itos überbordende, opulente und groteske Fantasie kennt anscheinend keine Grenzen, ist selbst eine Spirale, die sich mit jedem Kapitel wilder kreisend dreht, bis uns ganz schwindelig wird, vor Staunen und Schrecken. Was er aus der Spirale herausholt, ist eine kreative Meisterleistung, die aber trotz des apokalyptischen Szenarios und des sich zunächst langsam einschleichend Grauens, das immer weiter eskaliert, nie die zwischenmenschliche Ebene verliert. Uzumaki ist auch ein Charakterdrama, über eine Jugendliche, die die Welt nicht mehr versteht, weil alle um sie herum dem Wahnsinn zu verfallen scheinen.
Ich war beeindruckt davon, wie weit Ito es eskalieren lässt, wie stimmig er mit jedem Kapitel eine weitere Grenze überschreitet und so viele Subgenres des Horrors von Coming-of-Age über Psychothriller bis Bodyhorror vereint, ohne dass es je überfrachtet wirkt. Schon in meiner Besprechung von The Liminal Zone merkte ich an, dass seine große Stärke die Gesichter der Figuren sind, in denen sich das Grauen spiegelt, das sich mit jeder weiteren verzerrenden Zeichnung steigert. Aber auch, was er mit der Stadt Kurouzu und deren Umgebung anstellt, ist so meisterhaft wie verstörend.
Uzumaki hat bei mir einen Lesesog in die Abgründe der menschlichen und unmenschlichen Seele erzeugt, wie ich ihn seit House of Leaves nicht mehr empfunden habe.
Kleiner Rant
Mein einziger Kritikpunkt an dieser Ausgabe von Carlsen ist, dass nirgendwo erwähnt wird, wer die Mangas ins Deutsche übersetzt hat. Wenn der*die Übersetzer*inn das nicht ausdrücklich so gewünscht hat, ist das ein Versäumnis, das leider beispielhaft dafür steht, wie deutsche Manga-Verlage ihre Übersetzer*innen behandeln (und bezahlen). Auf der Webseite von Carlsen ist Jens Ossa angegeben, in der gedruckten Ausgabe von The Liminal Zone auch, aber eben nicht in diesem Buch. Rechtlich gesehen müsste es angegeben werden und er könnte die komplette Auflage einstampfen lassen.
Wie schlecht Manga-Übersetzer*innen von deutschen Verlagen behandelt werden, könnt ihr z. B. hier nachlesen. Die Initiative von ihnen zur Verbesserung der Konditionen wurde von den Verlagen einfach ignoriert. Wenn ich wüsste, welche der Verlage ihre Übersetzer*innen so schlecht behandeln, ich würde nichts mehr bei ihnen kaufen. Die Arbeitsbedingungen und Konditionen für Übersetzer*innen sind leider auch so eine Abwärtsspirale, die sich mit jedem Jahr verschlechtert.
Mir ist es beim Lesen selbst noch nicht aufgefallen, aber die Qualität von Manga-Übersetzungen muss in den letzten Jahren aufgrund dieser Arbeitsbedingungen und Kürzungen in Sachen Lektorat und Korrektorat stark nachgelassen haben, wie ich immer wieder in Rezensionen lese. Ich selbst habe erst kürzlich damit angefangen, verstärkt Mangas zu lesen (siehe hier).
2 Kommentare
Hallo Markus,
im Zusammenhang mit deinem Rant interessiert dich vielleicht, dass bei Tralalit vor kurzem ein Artikel über die schlechte Bezahlung der Übersetzungen von sog. Light Novels erschienen ist. Ich finde ihn zwar ein bisschen … sagen wir „dünn“, weil er sehr wenig konkret ist (und mMn alle Übersetzungen ihre spezifischen Probleme haben), aber da wollten die Verfasserinnen es sich vielleicht nicht mit den potentiellen Auftraggebern verscherzen. Und er passt natürlich ins Gesamtbild.
Hier der direkte Link: https://www.tralalit.de/2025/03/26/light-ist-ziemlich-heavy/
Danke für Kommentar und Hinweis, gero. Ertaunlich finde ich auch, dass japanische Literatur gerade massiv boomt, es anscheinend aber kaum Übersetzer*innen gibt. Die Bücher, die ich in letzter Zeit gelesn habe, und das waren einige, sind alle von den selben fünf Leuten übersetz worden. Die müssten doch eigentlich hohe Honorare diktieren können.