Seventeen | Hideo Yokoyama

E-Book-Cover des Romans "Seventeen" auf einem farbigen Tablet in einem Buchregal stehend.

Yokoyamas Six Four (hier meine Besprechung) war eine kunstvolle Mischung aus Entführungsthriller und Verwaltungsepos, in dem es viel um das Verhältnis zwischen Polizei und Presse ging, aus Perspektive der Polizei. In Seventeen nehmen wir nun die Perspektive der Presse ein, in Form des Protagonisten Yuuki, der bei einer Lokalzeitung, der North Kanto News arbeitet, als in deren Präfektur ein großes Flugzeugunglück mit über 500 Toten passiert.

Der in Sachen verantwortliche Positioinen eher ambitionslose Yuuki, wird zum Desk-Chief-Editor ernannt, also zum leitenden Redakteur, was diesen Fall angeht. Wir begleiten nun Yuuki bei seiner Arbeit in der Lokalredaktion mit all ihren Fallstricken bei einem der größten Vorfälle; wie er die anderen Journalisten koordiniert; ihnen unterschiedliche Aufträge gibt; versucht, Artikel gegen Vorgesetzte durchzusetzen; ständig mit der nahenden Deadline zu kämpfen hat; zwei unterschiedlichen politischen Fraktionen im Haus; den unterschiedlichen Abteilungen wie Vertrieb, Anzeigenannahme usw., die alle ihre eigenen Interessen verfolgen – während er dabei den richtigen Umgang mit den Hinterbliebenen der Verunglückten finden und nebenher noch ein Familienleben meistern muss, bei dem er ein schwieriges Verhältnis zum in die Pubertät kommenden Sohn hat.

Das alles wird eingerahmt in eine Handlung, die 17 Jahre später spielt, in der er mit dem Sohn eines ehemaligen Kollegen einen schwierigen Berg besteigt. Diesen Berg wollte er mit seinem Kollegen eigentlich genau an dem Tag besteigen, an dem das Unglück passierte und der Kollege Anzi gleichzeitig mit einer Hirnblutung im Koma landete und nie wieder aufgewacht ist. Von dieser Tour mit dessen Sohn erinnert Yuuki sich an die Zeit vor 17 Jahren zurück und findet eine Art emotionalen Abschluss.

Seventeen ist eine Ode an den Lokaljournalismus und zeigt Schritt für Schritt in einer spannenden Handlung auf, wie guter investigativer Journalismus funktioniert. Dazu sollte erwähnt werden, es gibt keine wirklich Krimihandlung wie in Six Four, die Reporter sind hier keiner ganz heißen Sache auf der Spur, die es am Ende aufzuklären gilt. Ein Großteil des Romans spielt im Redaktionsgebäude, zeigt die Beziehungsdynamiken der Journalist*innen (eine Frau ist dabei!) Und anderen Mitarbeitern. Das ganze spielt 1986 und gibt interessante Einblicke in die journalistische Arbeit in Zeiten vor Internet und Handy.

Protagonist Yuuki ist dabei kein reiner Sympathieträger. Er kann gereizt und barsch gegenüber Kollegen reagieren, es wird erwähnt, dass er seinen Sohn schon geschlagen habe, aber er macht auch eine Entwicklung durch und versucht sich zu bessern, lernt aus den Erfahrungen, die er während der Berichterstattung über das Unglück macht.

Der Roman ist deutlich kürzer und weniger komplex als Six Four und wurde auch einige Jahre vorher geschrieben, da Yokoyama selbst lange als Journalist gearbeitet hat, wirkt er aber ziemlich authentisch und liefert faszinierende Einblick in die Abläufe einer japanischen Lokalredaktion.

Ganz so gut wie Six Four ist das Buch nicht, aber trotzdem sehr lesenswert. Ich habe aber auch eine Schwäche für Bücher, Filme und Serien über Journalismus.

Auf Deutsch ist der Roman bisher leider nicht erschienen (die fehlende Krimihandlung schreckt die Verlage wohl ab), ich habe die englische Übersetzung von Louise Heal Kawai gelesen.

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