Dies ist mein letztes Lied | Lena Richter

Über eine berührende Novelle, die zeigt, warum dieses Format in der Science Fiction besonders stark ist, und die eine tolle Mischung aus Abenteuer und moderner SF á la Becky Chambers bietet.

Buchcover von "Dies ist mein letztes Lied", dessen abstrakte Formen sich nicht wirklich beschreiben lassen.

Verleger Hannes Riffel sagte kürzlich, er halte die Novelle für das ideale Format der Science Fiction. Nach Lektüre von Lena Richters Dies ist mein letztes Lied kann ich ihm da nur zustimmen. Es gibt ein gut durchdachtes und stringentes Konzept, das konsequent und elegant von Anfang bis Ende durchgezogen wird, ohne die Geschichte unnötig aufzublähen. Auch wenn das ein oder andere Kapitel ruhig noch etwas hätte ausgebaut werden können, aber dazu später mehr.

Die Menschheit hat den Weltraum anscheinend weitläufig und über die Grenzen unseres Sonnensystems erschlossen und sich auf unzähligen Planeten niedergelassen, in einer Gesellschaft, die technisch weit fortgeritten ist, gesellschaftlich aber die Probleme unseres Jahrhunderts mitgenommen hat. Der Kapitalismus ist – anders als bei Star Trek – leider nicht überwunden. Es gibt Welten, auf denen Menschen unter tristen Verhältnissen leben und stumpfen Tätigkeiten nachgehen. Wie unsere Hauptfigur Qui.

Im Universum geht das Gerücht um, dass manchen Menschen aus dem Nichts Türen erscheinen, die sie durchschreiten können, um ein neues Leben anzufangen, neue Welten zu entdecken. Und genau dies passiert eines Tages Qui, als Qui nach vielen Jahren der Musik-Abstinenz wieder ein Lied spielt. Qui nutzt die Gelegenheit, ihrem trostlosen Alltag zu entfliehen, auch wenn dies bedeutet, die Freund*innen zurückzulassen, und begibt sich auf ein Abenteuer, das auch eine Reise zu sich selbst darstellt.

Zunächst landet Qui auf einer Welt, auf der Qui (Ich-Erzähler*in in der ersten Person, weshalb ich das Pronomen nicht weiß) versucht, einen langen Krieg zu beenden, von dem niemand mehr weiß, warum er überhaupt begonnen hat. Und jede weitere Tür, die nach neuen Liedern erscheint, bringt Qui auf unterschiedliche Welten, lässt sie*ihn neue Erfahrungen sammeln und neue Lebensweisen entdecken. Die Raumschiffcrew, die zu fünft in einer Beziehung lebt, während sie ein Generationenschiff betreuen und warten. Eine Welt, die lehrt, was Einsamkeit bedeutet. Eine neu entdeckte Liebe. Musik in der virtuellen Realität. Ich will hier nicht zu viel verraten, denn für mich lag der Reiz auch darin, nicht zu wissen, was hinter der nächsten Tür wartet.

Wie erwähnt, die Novelle scheint mir das ideale Format für diese Geschichte zu sein, in ein, zwei Kapiteln hätte ich mir aber trotzdem etwas ausführlichere Schilderungen gewünscht. Zum Beispiel, wenn Qui in der Einsamkeit landet. Normalerweise mag ich solche Geschichten nicht, in denen Protagonist*innen ganz allein in der Wildnis ums Überleben kämpfen müssen, aber hier hätte es dem Gefühl der Verzweiflung und Einsamkeit geholfen, wenn es etwas mehr ausgearbeitet worden wäre. Das tut dem Lesespaß aber keinen Abbruch und ist nur eine ganz kleine Kritik nach meinem persönlichen Empfinden.

Dies ist mein letztes Lied habe ich als eine Mischung aus Abenteuer-SF der 70er mit einer großen Portion Sense of Wonder und Becky Chambers empfunden. Denn die neuen Welten, die Qui entdeckt, haben nichts von den kolonialromantischen Fantasien der alten SF, sondern zeigen uns neue Beziehungs- und Gesellschaftsentwürfe, jenseits heteronormativer Beschränktheit und patriarchaler Unterdrückung, in einer Welt, die die Last des Kapitalismus aber leider noch nicht überwunden hat, was vor allem ein Kapitel mit Katastrophenszenario eindrücklich zeigt. Es handelt sich also nicht ausschließlich um Feel-Good-SF, sondern teils um eine tragische Geschichte mit traumatischen Ereignissen, die insgesamt einen eher melancholischen Grundton hat.

Hard-SF-Fans mögen bemängeln, dass die Sache mit den Türen doch sehr unrealistisch wirkt, aber gerade darin liegt doch die Schönheit und Poesie der Geschichte. Für mich stehen die Türen für verschiedene Phasen des Lebens, in denen es unterschiedliche Probleme zu bewältigen gilt, Weltschmerz, mental Health, Einsamkeit, Hilflosigkeit gegenüber größeren Problemen und Krisen, Phasen der Ruhe und des Wohlbefindens.

Eine wirklich starke Novelle. Ich bin gespannt, was wir in Zukunft noch von Lena Richter zu lesen bekommen.

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