Das Leuchten der Rentiere | Ann-Helén Laestadius
Pogopuschel | Veröffentlicht am |
Bücher aus Schweden habe ich schon so einige gelesen, und nicht nur Krimis. Doch das indigene Volk der Samen kam darin nicht vor, auch nicht in den Filmen und Serien, die ich bisher gesehen habe. Ann-Helén Laestadius ist selbst Sámi und hat mit Das Leuchten der Rentiere der Lebensweise ihres Volkes ein Denkmal gesetzt.
Elsa ist neun Jahre alt, als sie den Mörder ihres Rentiers auf frischer Tat ertappt. Der droht ihr, sie und ihre Familie zu töten, wenn sie ihn verrät, und so schweigt sie, trägt das Geheimnis lange mit sich rum, bis es zu viel wird.
Das Sameby ist praktisch das Dorf der Samen-Gemeinschaft von Elsa und ihrer Familie. Dort leben sie und betreiben die Rentierzucht. Doch statt in Ruhe ihr Leben führen zu können, werden sie ständig von der restlichen schwedischen Bevölkerung angefeindet, während Wilderer ihre Rentiere erschießen und illegal verkaufen und die Polizei tatenlos zusieht.
In der ersten Hälfte des Romans folgen wir der jungen Elsa, wie sie ihr Leben im Sameby wahrnimmt, mit ihrer Liebe zu den Rentieren, der Vertrautheit mit der Natur, der Freundschaft zur zwei Jahre älteren Anna und ihrem Onkel Lasse, der Elsa viel bedeutet. Wir lernen ihre Familie kennen: der Vater, der sein ganzes Leben den Rentieren gewidmet hat, der Mutter, die von vielen nicht als echte Samin angesehen wird. Der ältere Bruder Mathias, der seine Wut über die Ungerechtigkeiten in sich hineinfrisst. Und die Großeltern, die noch auf die alte Weise leben und kaum Schwedisch sprechen.
Dann kommt ein Zeitsprung von zehn Jahren und wir lernen Elsa als junge Frau kennen, die ihr Leben immer noch den Rentieren widmet und lautstark gegen die Verbrechen aufgebegehrt, die noch immer den Samen angetan werden und gegen die die Polizei weiterhin nichts unternimmt. Die Lage spitzt sich immer weiter zu, Elsa wird persönlich bedroht und gerät in Gefahr. Doch das Buch ist kein Thriller, im Mittelpunkt steht weiterhin der Alltag im Sameby und mit den Rentieren, aber auch Elsas Zeit mit ihren Freundinnen.
Ohne zu predigen oder uns mit Infodump zuzuschütten, schildert Laestadius uns das Leben der Samen in Schweden, mit all den Problemen, die von außen an die Gemeinschaft herangetragen werden, aber auch jenen, die innerhalb bestehen. Z. B. die archaischen patriarchalen Strukturen, die dafür Sorgen, dass Elsa nie Mitspracherecht im Sameby haben wird.
80 Prozent der Zeit sind wir bei Elsa, aber in kurzen Abschnitten lernen wir auch die Gegenseite kennen, sozusagen den Antagonisten von Elsa und ihrer Familie, der eigentlich selbst ein armes Würstchen ist, nichts im Leben auf die Reihe bekommt, und deswegen wildert und seinen Hass an den Samen und vor allem deren Frauen in Form von Elsa auslässt. Hass und Misogynie sind oft Ventile zum Frustabbau von Menschen, die sich vom Leben betrogen fühlen, fallen aber erst dort auf fruchtbaren Boden, wo die sozialen und politischen Strukturen es begünstigen. Und Schweden scheint hier noch ein großes Problem im Umgang mit der eigenen indigenen Bevölkerung zu haben.
Etwas negativ aufgefallen ist mir in der Übersetzung die etwas eintönige Aneinanderreihung von Subjekt-Prädikat-Objekt-Sätzen. Das könnte natürlich auch an der Vorlage liegen, aber der Roman wurde von zwei Übersetzer*innen aus dem Schwedischen übertragen, die jeweils eine Hälfte übernommen haben, und mir ist das nur in der ersten Hälfte aufgefallen. In der Zweiten wirkte der Stil etwas flüssiger und eleganter.
Und warum leuchten die Rentiere eigentlich? Vermutlich, weil sie nicht so schön singen können wie die Flusskrebse. Im Original heißt das Buch einfach Stöld (Diebstahl), was ein durchaus hintersinniger Titel ist, da das Töten von Rentieren im Gesetz einfach nur als Diebstahl gewertet wird. Das Leuchten der Rentiere ist leider Titeltrittbrettfahrerei, die einen falschen Eindruck vom Buch vermittelt, da es nicht viel mit dem von Delia Owens gemein hat. Ich muss aber auch zugeben, dass sich Das Leuchten der Rentiere vermutlich besser verkauft als Diebstahl, ein Titel, der auch erst dann verstanden werden kann, wenn man den Roman gelesen hat.
Fazit
Mir hat das Buch richtig gut gefallen, auch wenn es stilistisch eher unauffällig ist und mehr mit den Mitteln eines Unterhaltungsromans arbeitet. Trotzdem habe ich mich wie mit dabei gefühlt, wenn Elsa ihre Skier anschnallt und durch den Wald um Rentiergehege läuft. Hinzu kommen interessante Einblicke in einen Teil der schwedischen Gesellschaft, den ich bisher so nicht kannte. Laestadius hat hier einen gesellschaftskritischen Roman geschrieben, der zwar anklagt, aber nie verbittert wird.
Die Übersetzung aus dem Schwedischen stammt von Maike Barth und Dagmar Mißfeldt.
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