Harmony | Project Itoh

Wo fängt der menschliche Wille an? Wo besteht er nur aus neuronalen Prozessen im Gehirn? Was macht das Bewusstsein aus? Und was wären wir ohne? In seinem Science-Fiction-Roman Harmony geht der japanische Schriftsteller Project Itoh den ganz großen Fragen der Menschheit nach.

Farbiges E-Book-Cover von "Harmony".

Nach dem gewalttätigen Zerfall der Gesellschaft, der in einer atomaren Katastrophe und der Auflösung der USA mündete, hat sich die Menschheit vorgenommen: „Nie wieder“. Dazu wurde Nanobots entwickelt, die im menschlichen Körper für eine Regulierung der Gesundheit sorgen. Krankheiten gehören der Vergangenheit an, und selbst der Tod durch Altersschwäche ist in weite Ferne gerückt. Überwacht wird das Ganze durch die sogenannte „Admedistration“, die festlegt, auf welche Weise die Menschen gesund zu leben haben. Ernährt man sich ungesund, meldet der Körper das direkt und man muss zur Therapie. Ungesunde Ernährung, Tabak und Alkohol wurden abgeschafft, ebenso wie die Privatsphäre. Der Körper gehört der Gesellschaft und wer ihn nicht pflegt, schadet ihr. Es herrscht – zumindest auf den ersten Blick – Harmonie.

Harmonie ist ein Konzept, dass in asiatischen Gesellschaften und vor allem in Japan einen hohen Stellenwert hat. Die Harmonie der Gruppe, im Kleinen wie im Großen, steht über allem, vor allem über dem individuellen Glück und den Bedürfnissen der Einzelnen. Konformismus ist wichtig, bloß nicht auffallen, der Nagel, der heraussteht, wird reingeschlagen. Und in Harmony sind die Methoden zum Reinschlagen subtil und perfide geworden, der Hammer steckt im Körper der Menschen selbst.

Doch die Admedistration ist noch nicht in allen Ländern der Erde angekommen, gerade die sogenannten Entwicklungsländer verweigern sich der totalen Überwachung und führen weiterhin Kriege, in denen die Admedistration in Form der WHO kräftig mitmischt. Und für eine Unterorganisation der WHO namens Helix arbeitet unsere Protagonistin und Ich-Erzählerin Turan. Sie treibt sich an der Front rum und genießt die dortigen Freiheiten, Alkohol und Tabak konsumieren zu können, während sie mit Rebellen verhandelt.

Doch als Tuan von einem Einsatz zurückkehrt und sich mit einer Schulfreundin zum Essen trifft, bringt diese sich vor ihren Augen um, indem sie sich ein Messer in den Hals rammt. Knapp 6.000 Menschen weltweit tun es ihr gleich, und Turan wird damit beauftragt, herauszufinden, was bzw. wer dahinter steckt. Und das hängt mit ihrer Jugend zusammen, und ihrem Vater, der die ursprünglichen Überwachungsnanobots namens WatchMe entwickelt hat.

Der Roman wird auf zwei Zeitebenen erzählt: die, die in der Roman-Gegenwart mit der obig geschilderten Handlung spielt, und jenen, die von Tuans Schulzeit erzählt. Wo sie ihre Freundinnen Micah und Cian kennenlernt und einen Selbstmordpakt mit ihnen schmiedet. Denn in einer Gesellschaft, in der der eigenen Körper einem nicht mehr selbst gehört, sondern der Gesellschaft, ist der Suizid die ultimative Rebellion. Doch etwas geht schief und alles hängt mit den Ereignissen in der Gegenwart zusammen.

Als Project (Satoshi) Itoh diesen Roman ein letztes Mal überarbeitete, lag er bereits im Krankenhaus, wo er wegen einer Krebserkrankung behandelt wurde, die ihn schließlich 2009 im Alter von nur 34 Jahren das Leben kosten sollte. Seit 2001 war der Krebs immer wieder zurückgekehrt. Ich kann mir gut vorstellen, dass so eine Erfahrung die Phantasie eines SF-Autors anregt, mit Gedankenspielen, wie es aussehen könnte, wenn die Menschheit Krankheiten und das Altern mittels technologischen Fortschritts überwunden haben. Und ein kreativer, rebellischer Kopf wie Itoh-San macht es sich dabei sicher nicht so einfach, nur eine utopische, harmonische Gesellschaft zu schildern, sondern denkt auch über die Schattenseiten einer solchen Entwicklung nach.

Ich könnte dem Buch vorwerfen, dass das, was die Ich-Erzählerin über die Gesellschaft erzählt, und das, was gezeigt wird, nicht so ganz zusammenpasst, vor allem, wenn es um das Verhalten der Menschen geht, aber das hat mich nur marginal gestört. Wobei ich mir schon gewünscht hätte, etwas mehr über das Leben in dieser Postnuklearkatastrophengesellschaft zu erfahren. Ist ein bisschen zu sehr auf das direkte Umfeld der Protagonistin beschränkt.

Insgesamt ist Harmony aber ein ausgezeichneter Science-Fiction-Roman mit einer sehr interessanten Idee, die von Anfang bis Ende auf zwei Zeitebenen geschickt konstruiert ist.

Im Original ist das Buch 2008 erschienen, ich habe die englische Übersetzung von Alexander O. Smith aus dem Jahr 2010 gelesen, auf Deutsch gibt das Buch leider nicht, was ich echt schade finde. Ich halte es für ein wichtiges Werk der japanische Science Fiction.

Es gibt übrigens auch eine Anime-Verfilmung von 2015, wie ich gerade erst festgestelt habe. Die werde ich mir demnächst noch ansehen, der Trailer sieht deutlich futuristischer aus, als ich mir die Welt beim Lesen vorgestellt habe. Sehen könnt ihr den Film bei Crunchyroll.

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