Kowloon Generic Romance (Bd. 1 u. 2) | Jun Mayazuki
Pogopuschel | Veröffentlicht am |
Eine Slice-of-Life-Geschichte in einer fesselnden Stadt, die Stück für Stück mysteriöser wird und sich zum faszinierendsten Manga entwickelt, den ich bisher gelesen habe.
Kowloon Generic Romance spielt in einer Stadt, die es nicht gibt. Und ich liebe Städte, die es nicht gibt. Kowloon Walled City war eine unmögliche Stadt, die im Grenzbereich zweier Länder lag, ohne klare Jurisdiktion. Zwar zu Hongkong gehörend, doch jenseits britischer Gerichtsbarkeit in den New Territories. Aber auch nicht Teil Chinas. 1993 wurde der am dicht besiedelteste Wohnblock der Welt, in dem 33.000 Einwohner lebten, abgerissen.
In Jun Mayazukis Manga existiert Kowloon Walled City weiter. Wir wissen nicht, in welchem Jahr die Geschichte spielt, aber es gibt schon Smartphones (die allerdings keine große Rolle spielen). Gleichzeitig schwebt etwas Unwirkliches über der Stadt, symbolisiert durch eine schwebende diamentenförmige Pyramide. Was in Band 1 als Slice-of-Life-Manga über eine junge Immobilienmaklerin beginnt, die von Japan nach Hongkong versetzt wird, entwickelt sich spätestens mit dem Ende des Bandes in etwas weitaus Mysteriöseres. Und in Band 2 betreten wir endgültigen eine geheimnisvolle Welt voller surrealer Momente, die uns ein Rätsel nach dem anderen aufgibt, ohne sich aber zum Thriller zu entwickeln. Die herzliche Atmosphäre mit den liebenswürdigen, teils knuddeligen Figuren bleibt gleichzeitig bestehen und macht Kowloon Generic Romance zu etwas ganz Besonderem.
Unsere Protagonistin ist die junge, rührige Immobilienmaklerin Reiko Kujiarai, die aber auch etwas Ätherisch-Geheimnisvolles umgibt. Sie arbeitet in einem kleinen Büro mit einem knuffigen älteren Kollegen und dem nur merklich jüngeren Hajime Kudou, der meist etwas schroff wirkt, aber auch seine guten Momente hat, die zeigen, das unter der harten Schale ein warmherziger Kerl steckt. Die Beziehung zwischen den beiden lässt sich nicht so recht fassen, einerseits kabbeln sie ständig miteinander, scheinen dann aber doch wieder gut miteinander auszukommen. So dass wir als Leser*innen erst mal annehmen, dass sich hier so eine klassische Romanze zwischen zwei Menschen entsteht, die sich anfangs nicht ausstehen konnten.
Doch so generisch ist die Romanze in Kowloon dann doch nicht. Optisch ist das zwar (von einer Frau) als Seinen-Manga für junge Männer gezeichnet, was vor allem daran zu sehen ist, wie attraktiv Reiko teils in Szene gesetzt wird, wenn sie z. B. leicht bekleidet in der Hitze schwitzend eine Wohnung streicht, aber im Verlauf entwickelt die Geschichte ordentlich Tiefgang, wirft immer neu Rätsel auf, durchbricht den seichten, aber poetischen Alltag durch kleine Risse, die kurz die Surrealität hinter der Kulisse Kowloons aufblitzen lässt.
Einerseits bekommen wir hier einen liebevollen und herzlichen Alltag voller erinnerungswürdiger Figuren zu sehen, gleichzeitig schwelt unter unserer Oberfläche das Gefühl, dass hier etwas nicht stimmt, dass die Dinge nicht sind, was sie scheinen. Und die Art, wie das ganze miteinander verwoben ist und präsentiert wird, macht Kowloon Generic Romance zum faszinierendsten Manga, den ich bisher gelesen habe. Da freut es mich sehr, dass ich noch neun weitere Bände vor mir habe.
Auf Deutsch ist die Manga-Serie bisher leider nicht erschienen, was ich nur als schweres Versäumnis der hiesigen Branche betrachten kann. Die Übersetzung von Amanda Haley ist großartig, da sie viele Mehrdeutigkeiten und die vielschichtigen Aspekte der Texte gut rüberbringt, sowohl des Japanische als auch der kleinen kantonesischen Schnipsel.


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