Hanami | Naoko Abe
Pogopuschel | Veröffentlicht am |
Wie interessant kann schon ein Buch sein, in dem es um einen 1880 in Wohlstand geborenen Engländer geht, der sich nach einem kurzen Ausflug in die Ornithologie mit ganzer Leidenschaft der japanischen Kirschblüte, deren Züchtung und Verbreitung widmet? Sehr interessant sogar, wie sich in Naokos Abes Hanami zeigt.

Die meisten Länder haben so etwas wie eine Nationalpflanze. Eine Blume, einen Baum oder ein Blatt (man denke an den Ahorn in Kanada), die die Nation repräsentieren. In Japan ist es die Sakura, die Kirschblüte (Hanami ist dann das Ereignis des Blühens im Frühling). Erst kürzlich sah ich in der Tagesschau wieder einen Report über blühende Kirschbäume. Japan ist berühmt dafür. Und auch in Japan selbst gehört es schon fast zum Nationalsport, während der Kirschblüte schicke Fotos unter den rosafarben oder weiß blühenden Bäumen zu machen und dort zu picknicken.
Doch die Geschichte der Kirschblüte ist eine mit Höhen und Tiefen. Seit über tausend Jahren werden Zierkirschen in Japan von lokalen Fürsten(Daimyō) und Kaisern (Tennō) gepflanzt. Drei Bäume gibt es noch, die über 1000 Jahre alt sein sollen. Sie galten lange als Prestigeobjekt im Garten. Doch es gibt auch ein düsteres Kapitel in ihrer Geschichte. Denn im 2. Weltkrieg wurde sie zum Symbol der Aufopferung und der Kamikaze-Flieger. Wie Blüten sollten sie fallen, wenn sie sich mit ihren Flugzeugen im Selbstmordkommando auf die amerikanischen Schiffe stürzten, in Uniformen, deren roter Kragen die Kirschblüte symbolisierte.
Naoko Abe erzählt uns die aufregende und vielschichtige Geschichte der Sakura verknüpft mit der Historie Japans und jenen Menschen, die sie gefördert und bewahrt haben. Zu denen gehört auch der Engländer Colingwood (Cherry) Ingram, der eine besondere Leidenschaft für Kirschbäume hegte und zu ihrer weltweiten Verbreitung beitrug. Ihm ist dieses Buch gewidmet, er bildet den roten Faden, an dem sich Abes Erzählung entlangbewegt.
Der Untertitel der deutschen Ausgabe lautet: Die wundersame Geschichte des Engländers, der den Japanern die Kirschblüte zurückbrachte. So ganz stimmt das nicht. Gänzlich verschwunden aus Japan war die Kirschblüte nie, nur viele ihrer Varietäten. Davon gibt es Unzählige, die sich in Farbe und Form der Blüten voneinander unterscheiden. Irgendwann setzte sich eine bestimmte Sorte (Somei-yoshino) durch, die dann überall undifferenziert gepflanzt wurde und alle anderen Varietäten verdrängte. Es ist wenigen Kirschblüten-Enthusiasten wie Colingwood Ingram zu verdanken, dass die verdrängten Varietäten bewahrt bleiben konnten. Auf seinen Reisen durch Japan begab er sich auf die Suche nach ihnen und ließ sich Reiser nach England schicken, um Abkömmlinge zu züchten, sorgte aber auch dafür, dass Kirschblüten in die ganze Welt verschickt wurden.
Collingwood Ingram wurde 1880 in eine wohlhabende Familie hineingeboren und musste zeit seines Lebens keiner geregelten Arbeit nachgehen, diente aber im 1. Weltkrieg als Offizier (allerdings in privilegierter Position abseits der Front) und war immer fleißig, wenn es um die Vogelkunde und später seine Studien um und die Zucht der Kirschblüten ging.
Naoko Abe hat sehr sorgfältig recherchiert, die Nachfahren Ingrams interviewt, aber auch Bekannte und Bedienstete, die ihn noch erlebt haben (immer hin ist er 100 Jahre alt geworden) sowie Kirschbaumexperten in Japan.
Zunächst widmet sie sich der Biografie Ingrams, der Familie, in die er hineingeboren wurde, die Umstände, unter denen er aufwuchs (ging wegen kränklicher Konstitution nie zur Schule, Heimunterricht), wie er seine Liebe zu Vögeln und der Ornithologie entdeckte, ihrer überdrüssig wurde, als er einen Fachartikel dazu las, wie häufig ein bestimmter Vogel pro Tag defäkierte, und wie er schließlich die Liebe zu Japan und der Kirschblüte entdeckte.
Dazwischen webt Abe immer wieder historische Exkurse nach Japan ein, in denen wir viel über das Land erfahren. Besonders mitreißend sind die Kapitel über den 2. Weltkrieg, die propagandistische Instrumentalisierung der Kirschblüten und das Schicksal der jungen Kamikaze-Piloten. Bestürzend sind die Erlebnisse von Ingrams Schwiegertochter Daphne, die als Krankenschwester in Hongkong für drei Jahre in japanische Kriegsgefangenschaft geriet und dort unfassbare Grausamkeiten erleben musste.
Wir begleiten Ingram auf seinem Landsitz in England, in dem zahlreiche Varietäten blühen, bis zu seinem Tod 1981 und darüber hinaus, was sein Erbe angeht. Wie sich die Kirschblüten in Japan weiter entwickelt haben. Wie die Nachfahren von Ingrams Gleichgesinnten und Freunden sie weiter hegen und pflegen.
Das erste Mal ist mir der Kult um die Kirschblüte im Tom-Cruise-Film The Last Samurai 2003 begegnet, in dem der von Ken Watanabe gespielte aufständische Samurai Katsumoto immer wieder nach der perfekten Kirschblüte sucht und schließlich im Moment seins Todes zur Erkenntnis gelangt: „Sie sind alle perfekt“. Als ich mir das Buch Hanami bestellt habe, war mir trotzdem nicht wirklich klar, was mich erwarten würde. Was kann schon so interessant an Kirschbäumen sein, außer, dass sie einmal im Jahr schön aussehen? Doch wie Abe hier die Geschichte der Bäume mit der Historie Japans, der Biografie Ingrams und den Beziehungen zwischen Japan und England aber auch anderen Ländern verbindet, ist superspannend.
In kurzen Kapiteln springt sie zwischen den Ländern und Personen hin und her, ohne dabei aber den Faden zu verlieren, immer mitreißend erzählt, indem neben der Leidenschaft der Menschen für die Sakura auch ihre Lebensumstände erzählt werden, die alles in einen größeren Kontext stellen, es aber trotzdem auch über eine persönliche Ebene vermittelt.
Naoko Abe ist eine japanische Journalistin und Autorin, die seit 2001 mit ihrem britischen Ehemann und zwei Söhnen in England lebt. Das ist Buch ursprünglich auf Japanisch erschienen, wurde aber für die englische Ausgabe von ihr stark überarbeitet und erweitert
Die bei S. Fischer erschienene Übersetzung stammt von Christa Prummer-Lehmair und Rita Seuß, und liest sich ganz hervorragend. Einzig Begriffe wie „Herzog“ und „Graf“ für japanische Adlige haben mich etwas irritiert, da wird im Deutschen doch sonst eher einfach der Oberbegriff Fürst verwendet. Ich weiß aber auch nicht, was da in der von Abe verfassten englischen Ausgabe steht.
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